Was wir im Online-Unterricht lernen

Online-Unterricht

Online-Unterricht – von vielen gemieden, von vielen als unbefriedigend oder Notlösung bezeichnet.

Vermutlich gehöre ich zu einer recht kleinen Zahl Dozentinnen, die Online-Unterricht lieben und in ihm ein gutes Mittel, Tanz zu unterrichten, sehen. Ich möchte mit dir teilen, warum das so ist. Was du als Teilnehmerin von Online-Tanzunterricht hast.

Weiterentwicklung der Dozenten

Ich liebe es, Neues zu lernen, auszuprobieren und mich als Dozentin weiterzuentwickeln. Auch, wenn es anstrengend ist, und ich jedes Mal den inneren Schweinehund zurückpfeifen muss, der nörgelt: „Nicht das auch noch… Muss das sein? Haben wir nicht schon genug zu tun? Ich will nicht! Scheiß-Technik!“ Den kennst du sicher auch – aber, sind wir Frauchen, die sich von ihrem Hund durch die Gassen ziehen lassen wollen?

Noch mehr als meine eigene Weiterentwicklung liebe ich es, die Fortschritte meiner Kursteilnehmerinnen und aller Teilnehmerinnen des OT pur zu sehen!
Online-Unterricht hat sie alle so viel weitergebracht – ich gebe zu, das hätte ich Anfang April 2020, als wir unsere Online-Klassen gestartet haben, nie gedacht. Damals war es auch für uns ein Notfallprogramm, die Tanzschule musste pandemiebedingt schließen, und wir haben um das Überleben des Betriebes gekämpft. Unsere Waffen in diesem Kampf waren Trainingsvideos, viel Kommunikation und eben Online-Unterricht.
Als wir losgelegt haben, war das nicht als Dauereinrichtung über Lockdowns und Pandemien hinaus geplant. Aber schon im Mai hatte ich entschieden, dass Online-Unterricht unbedingt regelmäßig stattfinden, ein weiteres Standbein meiner Tanzschule werden muss.

Weil ich die Vorteile erkannt und gesehen hatte, dass Online-Klassen sehr wohl ein geeignetes Mittel sind, Tanz zu lehren. Genauso, wie wir im Präsenzunterricht vor Ort in der Tanzschule unterschiedliche Methoden, neue Erkenntnisse, abwechslungsreiche Hilfsmittel und Musik nutzen, um einen interessanten und hilfreichen Tanzunterricht zu kreieren, können wir auch die Online-Wege nutzen, um unseren Unterricht und unser Angebot weiterzuentwickeln und den Teilnehmerinnen ein optimales Lernen und Erlebnis zu bieten.

Für uns Dozentinnen im OT pur stellte Online-Unterricht eine neue Herausforderung da. Innerhalb kürzester Zeit mussten wir uns mit einer Technik beschäftigen, der in weiten Teilen neu für uns war (Streaming) und unsere Fähigkeiten in Bereichen verbessern, die bisher eher stiefmütterlich von uns behandelt worden waren (Videoaufnahmen und -schnitt).
Wir mussten unseren Unterricht an diese sehr unterschiedlichen Online-Formate anpassen und mit der Technik zurechtkommen. Für jemanden wie mich (auspacken, Stecker in die Steckdose, einschalten und dann muss es laufen, ohne dass ich Anleitungen lesen muss ;)) war das eine sehr anstrengende Zeit.

Im Rückblick muss ich aber sagen: Wir haben unheimlich viel gelernt und uns weiterentwickelt. Diese steile Lernkurve schlägt sich auch auf unseren Präsenzunterricht nieder. Wir hinterfragen mehr, wir suchen Alternativen, wir halten nicht unreflektiert an Bewährtem fest, nur, weil es jahrelang gut funktionierte. Wir sind flexibler geworden und haben festgestellt, dass wir als Team sehr gut zusammenwirken, auf Unbekanntes und neue Einflüsse reagieren und vom Reagieren wieder ins Agieren kommen können. Darauf bin ich sehr stolz.

Weiterentwicklung der Teilnehmerinnen

Vieles von dem, was ich beschrieben habe, lässt sich 1:1 auf unsere Teilnehmerinnen übertragen. Online-Teilnehmerinnen haben ihre Grenzen überschritten, ihre Flexibilität ausgetestet, sind dem Unbekannten mutig und interessiert entgegengetreten. Sie haben das technische Drumherum gemeistert. Viele haben ihre Technik und auch ihr Zuhause für die Teilnahme an Online-Klassen optimiert. Das ist kein Muss, zeigt aber, mit wie viel Begeisterung und Ernsthaftigkeit sie an das „neue Tanzenlernen“ herangegangen sind. Als Dozentin bin ich da schon sehr gerührt…

Was hast du nach einem Jahr Online-Unterricht konkret für dich, über Tanztechnik, vielleicht neue Choreografien und Hintergrundwissen hinaus, mitgenommen?

Flexibilität & Anpassungsfähigkeit

Jaaaa, das mögen Viele nicht mehr hören. Aber gerade das letzte Jahr hat uns doch gezeigt, wie wichtig diese Eigenschaften sind. Sie helfen uns im Beruf und im Privatleben. Und im Tanz sind diese beiden Talente unabdingbar und werden unmittelbar gefördert.

Du hast an Online-Klassen teilgenommen oder mit Hilfe von Trainingsvideos weitergemacht? Super! Mehr Anpassung war gar nicht möglich. Du hättest dich auch verweigern, das Hobby an den Nagel hängen und dich einfach auf die Couch legen können. Aber du hast entschieden, nicht aufzugeben, flexibel zu reagieren, dich anzupassen und zu machen, was möglich ist. Ich finde das bewundernswert, auch, wenn unser Umfeld häufig davon ausgeht, dass das selbstverständlich sei. Ist es nicht. Wie viele Menschen treiben derzeit keinen Sport mehr? Von wie vielen Freundinnen hast du gehört, dass sie lieber pausieren und auf Präsenzunterricht warten?

Online-Teilnehmerinnen haben das Beste aus der Situation gemacht. Sie haben sich angepasst und nicht auf Althergebrachtem beharrt. Das ist mutig. Nur so gewinnen wir neue Freiräume.

Du bist jetzt aber auch auf das Tanzenlernen bezogen flexibler: Du tanzt in einem neuen Raum (deiner Wohnung), du musstest dich neu im Raum orientieren, mit weniger Platz auskommen, vielleicht rechts und links umdenken (oder einfach ignorieren ;)). Und du erfährst jetzt ganz neue Lernmethoden.

Es wird dir auch in Zukunft, im Tanzsaal, leichter fallen, mit weniger Platz auszukommen, mal in eine andere Richtung zu tanzen (oder auf der Bühne), eine Kombination mit beiden Seiten und in beide Richtungen zu tanzen. Neue Ideen deiner Dozentin werden dich nicht abschrecken, sondern deine Neugier wecken.

Mehr Körpergefühl

Ganz wichtig!
Gehörst du zu den Teilnehmerinnen, die zu Hause keinen Spiegel besitzen? Dann wirst du dich im Online-Unterricht mehr auf dein Gefühl verlassen, Bewegungen mehr erspüren und dich von den Worten der Dozentin leiten lassen.
Spannende Erfahrungen, die im Unterricht oft zu kurz kommen, v.a., wenn du auch zu den Frauen gehörst, die doch immer zum Spiegel schielen, selbst, wenn du mal die Augen schließen, reinspüren oder im Kreis stehen sollst.

Ja, es ist hart, so ganz ohne Spiegel. V.a. für die Perfektionisten unter uns. Aber Tanz ist doch nicht für den Spiegel gemacht, unabhängig davon, ob du nur für dich tanzt oder auf der großen Bühne stehst… Ich finde es schön, dass uns das auch mal wieder bewusst wird.

Dein Körpergefühl wird dir diese Zeit auf jeden Fall danken.

Befähigung zur Selbstkorrektur

Viele Dozentinnen fokussieren sich darauf, ihre Teilnehmerinnen direkt und ganz konkret zu korrigieren. Nur wenige Dozenten geben eine Anleitung zur Selbstkorrektur.

Im Online-Unterricht wird diese Anleitung in meinen Augen aber elementar wichtig. Wir können gar nicht jederzeit und alle Teilnehmerinnen über den Bildschirm im Auge behalten – auch nicht über eine große Leinwand. Als Dozentinnen sind wir gefordert, noch mehr als im Präsenzunterricht, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Davon profitieren Teilnehmerinnen. Wir stärken das Körpergefühl, das Verständnis für die Bewegungen und Abläufe, wir geben den dir die Möglichkeit, deinen Tanz unmittelbar und selbst zu verbessern. Ist das nicht schöner, als immer nur Korrekturen von außen zu bekommen, gar nicht zu merken, dass und was gerade nicht rund läuft?

Mehr Musikgefühl

Alle schimpfen über zeitversetzte Auslieferung von Bild und Ton beim Streaming – aber, wir können das doch auch mal positiv sehen:

Du lernst spätestens jetzt, wo die 1 ist, wo dein Einsatz ist, genau hinzuhören, den Instrumenten und den Melodien zu folgen, Rhythmen zu erkennen, den Takt, das Tempo. Du schulst dein Rhythmusgefühl, tanzt du jetzt ohne den doppelten Boden und das Netz der immer im Takt vor dir mitlaufenden Dozentin. Dazu gehört Selbstvertrauen und der Mut, auch mal danebenzuliegen. Ich finde das gut!

Der Kampf mit der Technik

Vorneweg: Wir haben gewonnen!

Du hast die Technik bezwungen, die für Online-Unterricht notwendig ist. Hast du dir das schon mal bewusst gemacht? Du hast vielleicht recherchiert, gekauft, ausprobiert, umgebaut oder bist mit vorhandenen Mitteln zurechgekommen.

Ich hatte schon erwähnt, dass Technik mich total nervt, oder? Aber weißt du, was mich noch mehr nervt? Es nicht zu können, nicht Frau der Lage zu sein, nicht frei agieren zu können. Es macht mir keinen Spaß, mich mit der zugehörigen Technik zu beschäftigen. Überhaupt nicht. Aber noch weniger Spaß bringt es mir, es nicht zu tun.

Außerdem haben sich ganz neue Möglichkeiten eröffnet und das Gelernte kann ich auf andere Gebiete übertragen. Gelohnt hat sich der Kampf auf jeden Fall. Auch für dich.

Was hast du noch von Online-Unterricht?

Ich könnte hier noch seitenweise weiterschreiben, mir würde noch viel mehr einfallen. Einblicke in die Wohnungen der Mittänzerinnen und vielleicht sogar in die deiner Dozentin und damit eine Verbindung, die ihr vorher vermutlich nicht hattet. Kontakte und Freundschaften werden gehalten und gestärkt. Wir erleben uns alle in einer anderen und schwierigen Situation und geben uns gegenseitig Halt. Ein Wochen-Highlight (gerade im Lockdown), Austausch, Kommunikation, Spaß – Dinge, die wir auch aus dem Tanzsaal in der Tanzschule kennen und die eben auch online möglich sind.

Ich weiß nicht, wie es dir geht. Aber ich möchte darauf nicht verzichten.

Nach Veröffentlichung dieses Blogbeitrags erreichte mich eine E-Mail von unserer Kursteilnehmerin Sakina, die ich hier veröffentlichen darf (danke, liebe Sakina!):

Liebe Melanie,
ich wollte Dir zum Thema Online-Tanzen noch etwas schreiben. Ich finde mich darin wieder, was Du zur Weiterentwicklung der Teilnehmerinnen geschrieben hast.
Mein Körpergefühl hat sich tatsächlich verbessert und am Montag habe ich beim Ori Tahiti festgestellt, dass sich auch mein Gleichgewicht verbessert hat. Auch in Sachen Technik habe ich mich weiter entwickelt, beim Online-Tanzen oder auch beim Benutzen von Trainingsvideos.
Ich habe mich ja auch schon mehrmals selbst beim Tanzen gefilmt und ein Video veröffentlicht. Teilweise habe ich meine Videos per WhatsApp jemandem geschickt oder es direkt gezeigt.
So habe ich meine Wohnung bzw mein Wohnzimmer daran angepasst, indem ich vorübergehend Dinge umgestellt habe. Dabei habe ich mein Wohnzimmer in einen Tanzsaal verwandelt, das hätte ich gar nicht erwartet.
Die Kontakte zueinander sind ja zum Glück erhalten geblieben und haben entgegen meiner Befürchtungen keine Distanzierungen bewirkt, sondern es ist durchaus eine gewisse Nähe geblieben.
Ich freue mich schon sehr darauf, wenn der Unterricht endlich wieder in der Tanzschule stattfindet. Die Erfahrungen mit dem Online-Tanzen waren bzw. sind aber auch sehr interessant und haben mich auf jeden Fall weiter gebracht.
Das wollte ich Dir gerne noch mitteilen, liebe Melanie.
Liebe Grüße,
Sakina

PS: Auch meine Haltung und meine Dehnung, zum Beispiel beim Cool Down, das Lernen von Choreografien oder Übungs-Kombinationen und überhaupt von neuen Tanzschritten u. ä. haben sich verbessert.
Ich habe den Eindruck, dass das mit der Verbesserung des Körpergefühls zusammenhängt. Das hängt wiederum mit dem Tanzen ohne Spiegel zusammen und mit „fühlt sich gut / nicht so gut an“, Selbstkorrektur oder Verinnerlichen, was sich gut anfühlt.
So, das wollte ich mal loswerden.